Wallfahrt zum Kreuzhölzle
Dieser Text stammt aus der Festschrift: 300 Jahre Kreuzkapelle- Dittwarer Heimatfest 9./10. und 11. September 1983 von Pfarrer Rupert Kleemann.
Das "Kreuzhölzle" zu Dittwar
Anlass für unser Heimatfest im Jahre 1983 ist ein besonderes Jubiläum. Seit über 300 Jahren ist der Name Dittwar eng verbunden mit einer Wallfahrt und mit einem kleinen Kirchlein, das genau vor 300 Jahren ein-geweiht wurde. Seit dieser Zeit ziehen Tag für Tag Pilger aus nah und fern zu diesem heimeligen Platz, eine knappe halbe Stunde vom Ortskern entfernt. Auch diejenigen, die nicht als Beter diese Stätte besuchen, finden dort inneren Frieden und eine geheimnisvolle Geborgenheit. Hier scheint sich Göttliches auf die Erde herab-zusenken und den aufgeschlossenen Besucher innerlich anzusprechen. Dies bestätigen auch viele Dittwarer, die nicht mehr zu den regelmäßigen Kirchenbesuchern gehören, die aber dennoch an diesem Ort mit ganzem Herzen hängen.
Wie kommt es zu der Erbauung der Kapelle und zur Entstehung der Wallfahrt?
Ein seltsamer Fund Es war in den bitteren Notzeiten nach dem 30-jährigen Krieg, als ein taubstummes Madchen namens Anna Maria Krank in den ersten Winterwochen des Jahres 1669 von ihrem Oheim Johann
Krank in den Wald geschickt wurde zum Holzsammeln. Die 14- jährige entdeckte dabei in der Höhlung eines Eichbaumes 2 Figuren, die die schmerzhafte Mutter Gottes und den heiligen Johannes darstellen. Ihre Größe beträgt ca. 18 cm. Das Waisenkind Anna Maria zeigt auch ihrem 11-jährigen Bruder Jakob die Figuren. Dieser bezeichnet durch Einschnitte den Baum. Dann nehmen sie die Statuen mit nach Hause und errichten einen
kleinen Altar.
Das jüngste Kind von Johann Krank wird im März des gleichen Jahres schwer krank. Johann macht ein Gelübde,
er wolle die beiden Figuren renovieren lassen. Das Kind gesundet auf wunderbare Weise. Nach der Renovation der Figuren wurde Johann durch ein besonderes Zeichen am 2. Februar 1670 aufgefordert, die Statuen wieder zur Eiche zu bringen.
Vor dem Notar beschrieb er dieses Zeichen als eine seltsame Erscheinung von Lichtstrahlen und Rauch über den Figuren, die er während eines Gebetes am Lichtmesstag hatte.
Ein Mitbürger mit Namen Hans Weber betrieb die Verehrung der Statuen und ermunterte viele Einwohner zum Besuch des Eichbaumes.
Bereits im Jahre der Aufstellung der Figuren werden eine Reihe von wunderbaren Gebetseröhrungen berichtet, die vom Bürgermeister zu Marbach und vom Notar Faulhaber aus Tauberbischofsheim niedergeschrieben wurden. So war es verständlich, dass Dekan Helfferich von Bischofsheim anlässlich einer Visitation in Dittwar von diesen Vorgängen erfuhr. Er berichtet darüber dem geistlichen Kommissar nach Aschaffenburg, der als
Vertreter des Erzbischofs von Mainz für die geistlichen Belange unseres Gebietes zuständig war. Er verhehlte dabei allerdings nicht seine großen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Wunder.
Die bischöfliche Behörde gab den Befehl, die Statuen in die Dittwarer Kirche zu bringen. Damals hatte der Ort keinen eigenen Pfarrer, sondern wurde von Königheim aus seelsorgerisch betreut.
Dennoch zogen nach wie vor viele Gläubige zu dem Eichbaum.
Der erzbischöfliche Sekretär in Mainz verurteilte diese Andachtsform als Aberglauben und befahl, den Baum umzuhauen. Es wird berichtet, dass bei dem Versuch, den Baum zu zerstören, die Äxte zersprungen waren.
Dekan Helfferich und die kirchliche Behörde gaben schließlich ihren Widerstand gegen die Wallfahrt auf.
Um diese Zeit hingen bereits eine Reihe von Krücken und Wachsabbildungen als Zeugnisse vieler Gebets-erhörungen an dem Baum.
Kapellen und Reliquien
Ein großer Förderer der Wallfahrt wurde der aus Dittwar gebürtige Propst Gottfried Hammerich aus Unterzell bei Würzburg (er wurde später der Abt des Prämonstratenserklosters Oberzell). Er stiftete die Mittel für den Bau einer Kapelle. Offenbar war im Jahre 1683 der Eichbaum nicht mehr vorhanden. Über dem stehen gebliebenen Stumpf wurde der Altar des neuen Kirchleins errichtet.
Wenige Jahre später erhielt die Pfarrei Dittwar wieder einen eigenen Pfarrer, nachdem Dekan Helfferich 4.000 Gulden für den Bau eines Pfarrhauses gestiftet hatte. Es war ein GIücksfall, dass ein frommer Einsiedler ab dem Jahre 1713 sich bei der Kapelle niederließ. Christoph Neubert vergrößerte die Kapelle und fungierte viele Jahre als Betreuer des kleinen Heiligtums. Sein größtes Verdienst jedoch waren seine erfolgreichen Bemühungen um die Gewinnung eines Kreuzpartikels und verschiedener Heiligenreliquien. Die Urkunden darüber sind im Pfarrarchiv erhalten; aus ihnen wird ersichtlich, dass im Jahre 1718 der Reichsfürst und Abt des Klosters Fulda, Constantinus, der zugleich Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches war, dem
Bruder Christoph Neubert den Kreuzpartikel übergeben hat. Diese selbst war nach seinem Zeugnis im Jahre 842 dem heiligen Rabanus Maurus, dem Erzbischof von Mainz und Abt von Fulda, von Papst Gregor IV. geschenkt worden. Am gleichen Tag erhielt der Einsiedler vom Propst von St. Michael in Fulda eine Reihe von Reliquien, die heute in der Pfarrkirche im Chor aufbewahrt werden. Die Namen der betreffenden Heiligen kann
man dort lesen.
Im gleichen Jahr genehmigte die Bischöfliche Behörde die Verehrung dieser Reliquien. Papst Clemens XI. verlieh allen Besuchern der Kapelle am Fest Kreuzauffindung und an allen Freitagen Ablässe.
Der Kreuzweg
Die Wallfahrt erfuhr von nun an einen großen Aufschwung. Aus vielen Orten der Umgebung kamen die Pilger. Auch hochgestellte Personen zahlten zu den Gönnern. Der Verwalter des Spitals in Tauberbischofsheim, Johannes Carolus Sauer, stiftete im Jahre 1728 eine Steinfigur, die Jesus neben dem Kreuz sitzend
darstellt. Man nennt sie "die Ruh Christi". Damals haben schon viele Leute auf dem Weg zur Kapelle den Kreuzweg gebetet.
Im Jahre 1747 wird bereits die Druckerlaubnis einer bischöflichen Kommission für das erste Wallfahrtsbüchlein gegeben. Darin wird geschildert, dass nicht nur die Kapelle durch den Anbau einer Sakristei im Jahre 1730 und den Einbau einer Orgel an Bedeutung gewonnen hatte, sondern dass bereits 14 kleine Kapellen als Kreuz-wegstationen errichtet waren. Die 12. Kapelle wurde Kalvarienberg genannt. Sie war größer als die Übrigen;
in ihr war ein Altar zur Erinnerung an die Kreuzigung. Man zählte von der ersten Station bis zum Kalvarienberg 1361 Schritte. Das soll der Abstand des historischen Kreuzweges in Jerusalem sein.
In diesem Büchlein werden auch eine ganze Reihe von weiteren Wundern aufgezählt, die sich im Jahre 1670 ereignet haben.
Der Hauptstifter für den Kreuzweg des Jahres 1747 war der damalige Spitalverwalter Christoph Bernhard Müller. Er schenkte außerdem Kelch und Messgewand, die bei der Feier der hI. Messe in der von ihm errichteten Kalvarienkapelle benutzt werden sollten. Der Pfarrer von Dittwar feierte in der Kreuzkapelle an jedem Freitag die hI. Messe und hörte Beichte.
Viele auswärtige Priester feierten mit ihren Gläubigen hier die Messe an den Wallfahrtstagen. Der Höhepunkt der religiösen Feierlichkeiten war jedoch jährlich das Fest Kreuzauffindung (3.5.) und Kreuzerhöhung (14. September). Franziskanerpatres aus Tauberbischofsheim kamen an diesen Festtagen zum Beichthören, zur feierlichen Prozession und zur Feier von Messen in der Kreuzkapelle und Kalvarienkapelle. Auch am Kirchenpatrozinium (St. Laurentius, am 10.8.) war es üblich, dass die Patres dem Pfarrer aushalfen.
Die feierliche Einweihung des seit 1747 bestehenden Kreuzweges erfolgte im Jahre 1759 durch die dafür privilegierten Franziskaner.
Die Hochblüte der Wallfahrt
Der große damalige Wallfahrtsbetrieb konnte nur durch die am Platz wohnenden Einsiedler geleitet werden. Bis 1735 wirkte Christoph Neubert. lhm folgte Sebastian Zahner. Im Jahre 1756 kleidete der Pfarrer von Dittwar einen neuen Eremiten ein.
Nach 1800 sind sogar zwei Einsiedler ansässig. An diese frommen Männer erinnerte bis vor kurzem das so genannte "Brudersbrünnle" im Tal unterhalb der Kapelle. Dort wurde das Wasser geholt.
Während an den Höfen Europas die Aufklärung ihren Einzug hielt, pilgerte das Volk in großen Scharen zu der
beliebten Kapelle.
Aus dieser 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts wird auch von einer großen Viehseuche in der Umgebung berichtet.
Damals zog fast die gesamte Bischofsheimer Bevölkerung zu dieser Gnadenstätte. Dem Bußgeist der damaligen Zeit folgend rutschten viele Beter knieend den Weg hinauf.
Schlimme Zeiten für die Wallfahrt
Der Geist der Aufklarung war auch in die Kirche selbst eingedrungen. Der Mensch des 18. Jahrhunderts erlebte eine ungeheuere Bereicherung seines Wissens. So waren viele Gelehrte überzeugt, dass die Menschheit mit dem Geiste der Vernunft bald alle Geheimnisse der Welt ergründen könne. Ebenso waren viele überzeugt, dass es dem Menschen möglich sei, aus eigener Kraft ein sittenreines Leben zu führen. Gott war für die Erhaltung
dieser Welt nicht mehr notwendig. Man verbannte den Schöpfer in einen unendlich weit entfernten Himmel, wo er ohne Interesse für die Menschheit existiert oder man leugnete ihn schließlich gänzlich. Der Kirche kam nach dieser Lehre nur noch die Aufgabe zu, über den sittlichen Wandel des ungebildeten Volkes zu wachen, während die vom Geist der Vernunft geleiteten „aufgeklärten" Bürger einer übernatürlichen Religion nicht
mehr bedurften.
So war den Aufklärern alles ein Gräuel, was Übernatur, Wunder, Gebetsleben, ja schließlich die Religion überhaupt betraf. Die von diesem Geist geleiteten Landesfürsten versuchten die Kirche zu einem Werkzeug des Staates zu machen. Die Pfarrer sollten die Ordnungskräfte eines gesitteten Staatswesens sein.
Sicher waren im Frömmigkeitsleben des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit auch viele Auswüchse. Diese zu bekämpfen, war Pflicht der kirchlichen Behörden. Nun aber verfiel man in ein Extrem: kirchliche Orden wurden verboten, Neben- und Wallfahrtskirchen geschlossen oder gar abgebrochen, Wallfahrten
verboten, die Heiligenverehrung eingeschränkt.
Unter Napoleon zerbrach das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Es entstanden die süddeutschen Fürstentümer. So war im Jahr 1806 auch Dittwar badisch geworden. Im Geiste der Aufklärung verlangte der Großherzog die Aufhebung auch der Wallfahrtskirche in Dittwar.
Ein tapferes Geschlecht
Was war über die Bevölkerung in jenen Jahrzehnten doch alles hereingebrochen? Die Kriege gegen Frankreich und schließlich mit Frankreich verwüsteten das Land, viele Männer mussten in den Krieg. Die Armut wurde durch Kriegssteuer und Abgaben immer drückender. Die gläubige Bevölkerung klammerte sich umso mehr ans Gebet und an ihre Gnadenstätte. Doch die Regierung war uneinsichtig. Pfarrer Hofer (1807-1817) vermochte
es immer wieder, die Zerstörung der Kapelle zu vereiteln.
Pfarrer Geiger (1818- 1825) war selbst vom Geist der Aufklärung geprägt, wie so viele andere aus dem damaligen Klerus. Bereits sein Vorgänger, Pfarrverweser Schuhmann (1817-1818) hatte im Jahre 1817 auf den Befehl der Landesbehörde hin, die die "Religionsschwärmerei" in der Kreuzkapelle zu Dittwar bekämpfte,
die Altäre und das Inventar der Kapellen größtenteils in die Pfarrkirche gebracht und die beiden Einsiedler fortgeschickt.
Dies brachte ihm den Hass der Bevölkerung ein. Diese zog nach wie vor treu zu der Kapelle, auch wenn dort keine Gottesdienste mehr stattfinden durften. Auch Pfarrer Geiger konnte dies nicht verhindern. Im Sommer des Jahres 1822 wurde die Behausung der Eremiten versteigert und abgerissen.
Im Oktober 1822 drängte das Kreisdirektorium Wertheim erneut auf den Abbruch der Kapellen. Als Vorwand wurde immer wieder angegeben, dass in diesen „Schlupfwinkeln" Unsittlichkeit getrieben würde. So wurde die Versteigerung in diesen letzten Wochen des Jahres 1822 angeordnet. Aus einem späteren Bericht entnehmen wir, dass an dem betreffenden Tag die männlichen Bürger des Dorfes, von denen man Widerstand befürchtete,
nach Bischofsheim auf das Bezirksamt beordert wurden. Hier wurden sie festgehalten. Aber die Rechnung der Behörden ging nicht auf, da die Frauen zur Kapelle zogen und die fremden Steigerer handgreiflich bedrohten und selbst den Beamten und Pfarrer zur Flucht zwangen. So wurde der Abbruchsbefehl durch einen Erlass des Ministeriums am 24.12.1822 zurückgenommen.
Die Wallfahrt heute
Es vergingen noch einige Jahrzehnte, bis endlich im Jahre 1845 das Erzbischöfliche Ordinariat die Feier der heiligen Messe wieder erlaubte. Das Erzbistum Freiburg war im Jahre 1821 gegründet worden. Die ersten Bischöfe konnten nur zögernd den Kampf gegen das Staatskirchentum beginnen. Erst Erzbischof
Hermann von Vicari (ab 1842) konnte die letzten Wirren der Aufklärung in seinem Klerus überwinden.
Bereits im Jahre 1842 hatte sich der Großteil der Dittwarer Bürger an das Ordinariat gewandt mit der Bitte um Genehmigung der Wallfahrt. Sie begründeten dies mit dem Satz: "Was unseren Vätern heilig war, bleibt auch uns heilig ... "
Die Bevölkerung war sehr arm. Es bedurfte vieler Opfer und auch Sammlungen in auswärtigen Gemeinden, um das Gotteshaus wieder würdig zu renovieren. Schießlich wurde sogar eine Orgel erstellt und ein neuer Kreuzweg errichtet'(1867-1872).
Nachdem im Jahr 1866 ein neues Wallfahrtsbüchlein gedruckt war, begannen auch wieder die Pilgerfahrten. Alle Pfarrer haben seit dieser Zeit sich bemüht, die Kapellen in würdigen Zustand zu versetzen und die Wallfahrt zu beleben.
Die tragende Kraft aber in der Durchführung aller Arbeiten blieb die Bevölkerung selbst, die in den letzten Jahren die Kapellen und den Kreuzweg in neuem Glanz erstehen ließ.
Pfarrer Rupert Kleemann
Das "Kreuzhölzle" zu Dittwar
Anlass für unser Heimatfest im Jahre 1983 ist ein besonderes Jubiläum. Seit über 300 Jahren ist der Name Dittwar eng verbunden mit einer Wallfahrt und mit einem kleinen Kirchlein, das genau vor 300 Jahren ein-geweiht wurde. Seit dieser Zeit ziehen Tag für Tag Pilger aus nah und fern zu diesem heimeligen Platz, eine knappe halbe Stunde vom Ortskern entfernt. Auch diejenigen, die nicht als Beter diese Stätte besuchen, finden dort inneren Frieden und eine geheimnisvolle Geborgenheit. Hier scheint sich Göttliches auf die Erde herab-zusenken und den aufgeschlossenen Besucher innerlich anzusprechen. Dies bestätigen auch viele Dittwarer, die nicht mehr zu den regelmäßigen Kirchenbesuchern gehören, die aber dennoch an diesem Ort mit ganzem Herzen hängen.
Wie kommt es zu der Erbauung der Kapelle und zur Entstehung der Wallfahrt?
Ein seltsamer Fund Es war in den bitteren Notzeiten nach dem 30-jährigen Krieg, als ein taubstummes Madchen namens Anna Maria Krank in den ersten Winterwochen des Jahres 1669 von ihrem Oheim Johann
Krank in den Wald geschickt wurde zum Holzsammeln. Die 14- jährige entdeckte dabei in der Höhlung eines Eichbaumes 2 Figuren, die die schmerzhafte Mutter Gottes und den heiligen Johannes darstellen. Ihre Größe beträgt ca. 18 cm. Das Waisenkind Anna Maria zeigt auch ihrem 11-jährigen Bruder Jakob die Figuren. Dieser bezeichnet durch Einschnitte den Baum. Dann nehmen sie die Statuen mit nach Hause und errichten einen
kleinen Altar.
Das jüngste Kind von Johann Krank wird im März des gleichen Jahres schwer krank. Johann macht ein Gelübde,
er wolle die beiden Figuren renovieren lassen. Das Kind gesundet auf wunderbare Weise. Nach der Renovation der Figuren wurde Johann durch ein besonderes Zeichen am 2. Februar 1670 aufgefordert, die Statuen wieder zur Eiche zu bringen.
Vor dem Notar beschrieb er dieses Zeichen als eine seltsame Erscheinung von Lichtstrahlen und Rauch über den Figuren, die er während eines Gebetes am Lichtmesstag hatte.
Ein Mitbürger mit Namen Hans Weber betrieb die Verehrung der Statuen und ermunterte viele Einwohner zum Besuch des Eichbaumes.
Bereits im Jahre der Aufstellung der Figuren werden eine Reihe von wunderbaren Gebetseröhrungen berichtet, die vom Bürgermeister zu Marbach und vom Notar Faulhaber aus Tauberbischofsheim niedergeschrieben wurden. So war es verständlich, dass Dekan Helfferich von Bischofsheim anlässlich einer Visitation in Dittwar von diesen Vorgängen erfuhr. Er berichtet darüber dem geistlichen Kommissar nach Aschaffenburg, der als
Vertreter des Erzbischofs von Mainz für die geistlichen Belange unseres Gebietes zuständig war. Er verhehlte dabei allerdings nicht seine großen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Wunder.
Die bischöfliche Behörde gab den Befehl, die Statuen in die Dittwarer Kirche zu bringen. Damals hatte der Ort keinen eigenen Pfarrer, sondern wurde von Königheim aus seelsorgerisch betreut.
Dennoch zogen nach wie vor viele Gläubige zu dem Eichbaum.
Der erzbischöfliche Sekretär in Mainz verurteilte diese Andachtsform als Aberglauben und befahl, den Baum umzuhauen. Es wird berichtet, dass bei dem Versuch, den Baum zu zerstören, die Äxte zersprungen waren.
Dekan Helfferich und die kirchliche Behörde gaben schließlich ihren Widerstand gegen die Wallfahrt auf.
Um diese Zeit hingen bereits eine Reihe von Krücken und Wachsabbildungen als Zeugnisse vieler Gebets-erhörungen an dem Baum.
Kapellen und Reliquien
Ein großer Förderer der Wallfahrt wurde der aus Dittwar gebürtige Propst Gottfried Hammerich aus Unterzell bei Würzburg (er wurde später der Abt des Prämonstratenserklosters Oberzell). Er stiftete die Mittel für den Bau einer Kapelle. Offenbar war im Jahre 1683 der Eichbaum nicht mehr vorhanden. Über dem stehen gebliebenen Stumpf wurde der Altar des neuen Kirchleins errichtet.
Wenige Jahre später erhielt die Pfarrei Dittwar wieder einen eigenen Pfarrer, nachdem Dekan Helfferich 4.000 Gulden für den Bau eines Pfarrhauses gestiftet hatte. Es war ein GIücksfall, dass ein frommer Einsiedler ab dem Jahre 1713 sich bei der Kapelle niederließ. Christoph Neubert vergrößerte die Kapelle und fungierte viele Jahre als Betreuer des kleinen Heiligtums. Sein größtes Verdienst jedoch waren seine erfolgreichen Bemühungen um die Gewinnung eines Kreuzpartikels und verschiedener Heiligenreliquien. Die Urkunden darüber sind im Pfarrarchiv erhalten; aus ihnen wird ersichtlich, dass im Jahre 1718 der Reichsfürst und Abt des Klosters Fulda, Constantinus, der zugleich Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches war, dem
Bruder Christoph Neubert den Kreuzpartikel übergeben hat. Diese selbst war nach seinem Zeugnis im Jahre 842 dem heiligen Rabanus Maurus, dem Erzbischof von Mainz und Abt von Fulda, von Papst Gregor IV. geschenkt worden. Am gleichen Tag erhielt der Einsiedler vom Propst von St. Michael in Fulda eine Reihe von Reliquien, die heute in der Pfarrkirche im Chor aufbewahrt werden. Die Namen der betreffenden Heiligen kann
man dort lesen.
Im gleichen Jahr genehmigte die Bischöfliche Behörde die Verehrung dieser Reliquien. Papst Clemens XI. verlieh allen Besuchern der Kapelle am Fest Kreuzauffindung und an allen Freitagen Ablässe.
Der Kreuzweg
Die Wallfahrt erfuhr von nun an einen großen Aufschwung. Aus vielen Orten der Umgebung kamen die Pilger. Auch hochgestellte Personen zahlten zu den Gönnern. Der Verwalter des Spitals in Tauberbischofsheim, Johannes Carolus Sauer, stiftete im Jahre 1728 eine Steinfigur, die Jesus neben dem Kreuz sitzend
darstellt. Man nennt sie "die Ruh Christi". Damals haben schon viele Leute auf dem Weg zur Kapelle den Kreuzweg gebetet.
Im Jahre 1747 wird bereits die Druckerlaubnis einer bischöflichen Kommission für das erste Wallfahrtsbüchlein gegeben. Darin wird geschildert, dass nicht nur die Kapelle durch den Anbau einer Sakristei im Jahre 1730 und den Einbau einer Orgel an Bedeutung gewonnen hatte, sondern dass bereits 14 kleine Kapellen als Kreuz-wegstationen errichtet waren. Die 12. Kapelle wurde Kalvarienberg genannt. Sie war größer als die Übrigen;
in ihr war ein Altar zur Erinnerung an die Kreuzigung. Man zählte von der ersten Station bis zum Kalvarienberg 1361 Schritte. Das soll der Abstand des historischen Kreuzweges in Jerusalem sein.
In diesem Büchlein werden auch eine ganze Reihe von weiteren Wundern aufgezählt, die sich im Jahre 1670 ereignet haben.
Der Hauptstifter für den Kreuzweg des Jahres 1747 war der damalige Spitalverwalter Christoph Bernhard Müller. Er schenkte außerdem Kelch und Messgewand, die bei der Feier der hI. Messe in der von ihm errichteten Kalvarienkapelle benutzt werden sollten. Der Pfarrer von Dittwar feierte in der Kreuzkapelle an jedem Freitag die hI. Messe und hörte Beichte.
Viele auswärtige Priester feierten mit ihren Gläubigen hier die Messe an den Wallfahrtstagen. Der Höhepunkt der religiösen Feierlichkeiten war jedoch jährlich das Fest Kreuzauffindung (3.5.) und Kreuzerhöhung (14. September). Franziskanerpatres aus Tauberbischofsheim kamen an diesen Festtagen zum Beichthören, zur feierlichen Prozession und zur Feier von Messen in der Kreuzkapelle und Kalvarienkapelle. Auch am Kirchenpatrozinium (St. Laurentius, am 10.8.) war es üblich, dass die Patres dem Pfarrer aushalfen.
Die feierliche Einweihung des seit 1747 bestehenden Kreuzweges erfolgte im Jahre 1759 durch die dafür privilegierten Franziskaner.
Die Hochblüte der Wallfahrt
Der große damalige Wallfahrtsbetrieb konnte nur durch die am Platz wohnenden Einsiedler geleitet werden. Bis 1735 wirkte Christoph Neubert. lhm folgte Sebastian Zahner. Im Jahre 1756 kleidete der Pfarrer von Dittwar einen neuen Eremiten ein.
Nach 1800 sind sogar zwei Einsiedler ansässig. An diese frommen Männer erinnerte bis vor kurzem das so genannte "Brudersbrünnle" im Tal unterhalb der Kapelle. Dort wurde das Wasser geholt.
Während an den Höfen Europas die Aufklärung ihren Einzug hielt, pilgerte das Volk in großen Scharen zu der
beliebten Kapelle.
Aus dieser 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts wird auch von einer großen Viehseuche in der Umgebung berichtet.
Damals zog fast die gesamte Bischofsheimer Bevölkerung zu dieser Gnadenstätte. Dem Bußgeist der damaligen Zeit folgend rutschten viele Beter knieend den Weg hinauf.
Schlimme Zeiten für die Wallfahrt
Der Geist der Aufklarung war auch in die Kirche selbst eingedrungen. Der Mensch des 18. Jahrhunderts erlebte eine ungeheuere Bereicherung seines Wissens. So waren viele Gelehrte überzeugt, dass die Menschheit mit dem Geiste der Vernunft bald alle Geheimnisse der Welt ergründen könne. Ebenso waren viele überzeugt, dass es dem Menschen möglich sei, aus eigener Kraft ein sittenreines Leben zu führen. Gott war für die Erhaltung
dieser Welt nicht mehr notwendig. Man verbannte den Schöpfer in einen unendlich weit entfernten Himmel, wo er ohne Interesse für die Menschheit existiert oder man leugnete ihn schließlich gänzlich. Der Kirche kam nach dieser Lehre nur noch die Aufgabe zu, über den sittlichen Wandel des ungebildeten Volkes zu wachen, während die vom Geist der Vernunft geleiteten „aufgeklärten" Bürger einer übernatürlichen Religion nicht
mehr bedurften.
So war den Aufklärern alles ein Gräuel, was Übernatur, Wunder, Gebetsleben, ja schließlich die Religion überhaupt betraf. Die von diesem Geist geleiteten Landesfürsten versuchten die Kirche zu einem Werkzeug des Staates zu machen. Die Pfarrer sollten die Ordnungskräfte eines gesitteten Staatswesens sein.
Sicher waren im Frömmigkeitsleben des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit auch viele Auswüchse. Diese zu bekämpfen, war Pflicht der kirchlichen Behörden. Nun aber verfiel man in ein Extrem: kirchliche Orden wurden verboten, Neben- und Wallfahrtskirchen geschlossen oder gar abgebrochen, Wallfahrten
verboten, die Heiligenverehrung eingeschränkt.
Unter Napoleon zerbrach das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Es entstanden die süddeutschen Fürstentümer. So war im Jahr 1806 auch Dittwar badisch geworden. Im Geiste der Aufklärung verlangte der Großherzog die Aufhebung auch der Wallfahrtskirche in Dittwar.
Ein tapferes Geschlecht
Was war über die Bevölkerung in jenen Jahrzehnten doch alles hereingebrochen? Die Kriege gegen Frankreich und schließlich mit Frankreich verwüsteten das Land, viele Männer mussten in den Krieg. Die Armut wurde durch Kriegssteuer und Abgaben immer drückender. Die gläubige Bevölkerung klammerte sich umso mehr ans Gebet und an ihre Gnadenstätte. Doch die Regierung war uneinsichtig. Pfarrer Hofer (1807-1817) vermochte
es immer wieder, die Zerstörung der Kapelle zu vereiteln.
Pfarrer Geiger (1818- 1825) war selbst vom Geist der Aufklärung geprägt, wie so viele andere aus dem damaligen Klerus. Bereits sein Vorgänger, Pfarrverweser Schuhmann (1817-1818) hatte im Jahre 1817 auf den Befehl der Landesbehörde hin, die die "Religionsschwärmerei" in der Kreuzkapelle zu Dittwar bekämpfte,
die Altäre und das Inventar der Kapellen größtenteils in die Pfarrkirche gebracht und die beiden Einsiedler fortgeschickt.
Dies brachte ihm den Hass der Bevölkerung ein. Diese zog nach wie vor treu zu der Kapelle, auch wenn dort keine Gottesdienste mehr stattfinden durften. Auch Pfarrer Geiger konnte dies nicht verhindern. Im Sommer des Jahres 1822 wurde die Behausung der Eremiten versteigert und abgerissen.
Im Oktober 1822 drängte das Kreisdirektorium Wertheim erneut auf den Abbruch der Kapellen. Als Vorwand wurde immer wieder angegeben, dass in diesen „Schlupfwinkeln" Unsittlichkeit getrieben würde. So wurde die Versteigerung in diesen letzten Wochen des Jahres 1822 angeordnet. Aus einem späteren Bericht entnehmen wir, dass an dem betreffenden Tag die männlichen Bürger des Dorfes, von denen man Widerstand befürchtete,
nach Bischofsheim auf das Bezirksamt beordert wurden. Hier wurden sie festgehalten. Aber die Rechnung der Behörden ging nicht auf, da die Frauen zur Kapelle zogen und die fremden Steigerer handgreiflich bedrohten und selbst den Beamten und Pfarrer zur Flucht zwangen. So wurde der Abbruchsbefehl durch einen Erlass des Ministeriums am 24.12.1822 zurückgenommen.
Die Wallfahrt heute
Es vergingen noch einige Jahrzehnte, bis endlich im Jahre 1845 das Erzbischöfliche Ordinariat die Feier der heiligen Messe wieder erlaubte. Das Erzbistum Freiburg war im Jahre 1821 gegründet worden. Die ersten Bischöfe konnten nur zögernd den Kampf gegen das Staatskirchentum beginnen. Erst Erzbischof
Hermann von Vicari (ab 1842) konnte die letzten Wirren der Aufklärung in seinem Klerus überwinden.
Bereits im Jahre 1842 hatte sich der Großteil der Dittwarer Bürger an das Ordinariat gewandt mit der Bitte um Genehmigung der Wallfahrt. Sie begründeten dies mit dem Satz: "Was unseren Vätern heilig war, bleibt auch uns heilig ... "
Die Bevölkerung war sehr arm. Es bedurfte vieler Opfer und auch Sammlungen in auswärtigen Gemeinden, um das Gotteshaus wieder würdig zu renovieren. Schießlich wurde sogar eine Orgel erstellt und ein neuer Kreuzweg errichtet'(1867-1872).
Nachdem im Jahr 1866 ein neues Wallfahrtsbüchlein gedruckt war, begannen auch wieder die Pilgerfahrten. Alle Pfarrer haben seit dieser Zeit sich bemüht, die Kapellen in würdigen Zustand zu versetzen und die Wallfahrt zu beleben.
Die tragende Kraft aber in der Durchführung aller Arbeiten blieb die Bevölkerung selbst, die in den letzten Jahren die Kapellen und den Kreuzweg in neuem Glanz erstehen ließ.
Pfarrer Rupert Kleemann